STERNMUT LITERATUR

"Rezension zu Absolut du"
J. Hachmann

Rezension einer Leserin zu "Marlies"
M. Wegscheider

Leserrezension zu „Marlies“ Roman Sylvias Art

Von Normans Spielfeld und Marlies, der Hexe
Michael Matzer

Das Gegenüber im Fixierbad 
Michael Matze

Carpe com Michael Matze

Ein Krimi der Extraklasse
Alfred Büngen

Eine Feier des Lebens im Eros  
Michael Matzer

Marlies
Daniela Wegert  

Buch des Monats Marlie Maria Mersch

Marlies ist wieder da!
Rezension von Alisha Bionda

Mit dem Flug-Schreiber
M. Matzer – Rezension - TRIEBWERK

  • Rezension zu  „Absolut, Du“  Gedichte Edition Thaleia
    von KULIMU – Zeitschrift für Kunst&Literatur&Musik

J. Hachmann

Leibhaftige Poesie

Norbert Sternmut gehört ohne Zweifel zu den begabtesten Lyrikern der deutschsprachigenGegenwartsliteratur. Sein sprachlicher wie inhaltlicher Einfallsreichtum ist schlicht erstaunlich.

Das beweist auch sein Gedichtband „Absolut, Du“.
Sternmuts Lyrik berührt den Leser nicht nur, sie rückt ihm buchstäblich auf den Leib.

In seinen Gedichten entfaltet Sternmut einen unübersehbar beziehungsreichen „Hexensabbat“ der Vergänglichkeit, in dem Dinge und Menschen einander erhellend und verdunkelnd, gleichermaßen zu reden beginnen. Wie „Geist“ und „Materie“, so vertauschen auch „Ferne“ und „Nähe“ ihre überkommenen „Selbstverständlichkeiten“ und werden füreinander durchlässig auf eine opake Faktizität hin, die Bestimmbarkeit überhaupt als unvordenkliche Beschränkung „zeigt“. Das alles geht sicher

„Über den Verstand“. Aber darin, dass es Sternmut gelungen ist, „den Austausch/ der Klopfzeichen/ auf die Nullinie“ mit geradezu materieller Intensität zu präsentieren, liegt sicher eines der wesentlichen Verdienste seiner Lyrik, die damit beispielhaft Czeslaw Miloszs These bestätigt, dass man die Möglichkeit der Philosophie in der Wirklichkeit der Lyrik realisiert finden kann.

Jürgen Hachmann  

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  •  Leserrezension zu „Marlies“ Roman  

von Sylvia aus Österreich (Sylvia`s Art) (http://members.aon.at/sylviasart)

Habe den Roman folgend empfunden: (als ebenfalls Künstlerin - Malerin): Ein Rahmen im Rahmen, wieder im Rahmen ein Bild. Interessant, der übergeordnete Erzähler, der immer wieder in verschiedene Rollen schlüpft. Fantastisch, die Wortspiele, Realität oder Phantasie? Norman, ein sensibler Schriftsteller (sensibel – sonst wäre er nicht Schriftsteller) im Konflikt zwischen Gefühl und Kopf- ein Thema, so alt, wie die Menschheit selbst. Eine Frau, Marlies, realitätsbezogen, ihrer Wirkung und äußerer Erscheinungen voll bewusst, welch ein Gegensatz- daher reizvoll, verpackt in einen Krimi. Man kann sehen, das Tier im Menschen ist viel stärker, als oftmals bewusst wird! Norman kann sich nur entziehen, indem er der Wirklichkeit entflieht. Ein Buch, das mich von Anfang bis Ende in besitz nahm, lesenswert!

NACH OBEN

  • Rezension einer Leserin zu "Marlies"

 

"Ein Sonntag mit Kaiserwetter, einem "Sternmut" - "Marlies". Was brauchtfrau mehr? Und ich habe mich köstlich amüsiert!Die Schreibe ist gut und spannend zu lesen.......witzig, mit einem SchussIronie in jede Richtung.... und manchmal, in gewissen Situationen,beneidete ich Marlies.....und manchmal dachte ich mir, wie wohl der richtigeAutor leibt und lebt. Nicht der Norman - der Norbert...er schreibt ja sehr inder Ich-Form. Ob er eine Regina zu Hause hat - oder Marliese, oder Evas,ect..ect...und sofort.... und am Ende wusste ich nicht mehr, ob ich eineerfundene Figur oder real bin.... aber fragen trau ich mich auch nicht sowirklich ;-)... und der Herr Inspektor, der ist wie ein Inspektor ist!!! ..undderverblutet noch einmal aufsteht und ans Telefon geht ..grandios erfundeneFiguren! Oder sind sie nicht erfunden?Monika Wegscheider /Österreich

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  • Von Normans Spielfeld und Marlies, der Hexe

Norbert Sternmut: Marlies

Nach dem erfolreichen Krimi "Der Tote im Park" folgt nun das Mittelstück einer Trilogie: "Marlies". Der Leser darf sich auf alles gefasst machen, denn die rothaarige lüsterne Marlies macht sich wieder einmal über den wankelmütigen Schriftsteller Norman her, der selbstverständlich keine Chance gegen ihre Attacke hat.

Der Autor

Norbert Sternmut (ein Pseudonym?) hat schon mehrere Romane veröffentlicht, schreibt aber auch Theaterstücke und Gedichte. Mehr Infos gibt's auf seiner Website
www.sternmut.de.

Handlung

Norman, der Schriftsteller, hat sich mit seiner Frau Regina und den zwei Kindern Lisa und Gloria (die nicht von ihm sind) fest eingerichtet in einer sicheren, gedeihlichen Umgebung, so dass er an seinem nächsten Roman schreiben kann. Was die mütterlich treu sorgende Regina allerdings nicht ahnt: Norman hat eine Geliebte, eine gewisse Eva Adam. (Man sieht: Namen tun hier wenig zur Sache.) Das dürfte für ihn zu einem gewissen Problem werden.

Marlies hat nämlich angerufen – Marlies, die Zerstörerin, Aphrodite und Kalí in einem, Normans femme fatale. Leider konnte Norman die Klappe nicht halten und erzählte ihr von Eva. Wenig später meldet sich der Herr Inspektor (der überhaupt keinen Namen hat) bei Norman an: Eva Adam sei ermordet (mit "aufgetrennten Brüsten" und „zerschnittenen Genitalien“) aufgefunden worden, und ob der Herr Schriftsteller, dessen Fingerabdrücke man überall in der Eva-Wohnung gefunden habe, etwas Erhellendes dazu beitragen könnte? Norman kann nicht.

Als Marlies vor der Tür steht, während Regina beim Einkaufen ist, kann Norman ihr nicht widerstehen, so sehr er sich das auch wünschen würde – von wegen Treue zu Regina und so. Die anschließende Sexszene dauert so lange, dass Regina die beiden in ihrer Wohnung vorfindet. Regina wurde von ihrer Freundin Helga gewarnt, dass der Schriftsteller sie eines Tages enttäuschen würde. Regina stellt Norman auf die sanfte Tour vor die Wahl zwischen zwei Frauen. Doch er hält an ihr fest. Sagt er.

Der Verdacht des Herrn Inspektors gegen Norman wird immer dringender. Warum, bleibt vorerst unklar – Polizeigeheimnis. Allerdings gibt Norman das Verhältnis zu Eva Adam erstmals zu. Das ist wohl nicht so geschickt. Marlies lädt ihn zu einem Stelldichein bei sich ein, doch er erzählt ihr nochmals, dass Eva seine Geliebte gewesen sei und er seiner Frau "treu" bleiben wolle. Nix da: Marlies' Verhältnis zum Schriftsteller, über das nun endlich mehr zu erfahren ist, verhindert, dass er sich ihr verweigern kann. Seine fatale Muse ist für ihn ebenso lebensnotwendig wie die treue Versorgerin.

Da taucht der Herr Inspektor auf und nimmt den Schriftsteller wegen dringenden Mordverdachts fest. Ob ihn Marlies oder Regina aus seiner Zelle herausholen, dürfte der zweite Teil des Romans zeigen.

Mein Eindruck

"Marlies" ist zwar ein Krimi mit entsprechender Handlungsstruktur, aber es ist beleibe kein realistischer Roman im handelsüblichen Sinne. Das lässt sich schon an der Tatsache ablesen, dass es der Autor wagt, einer der wichtigsten Figuren eines Krimis, nämlich dem Ermittler, hier den Eigennamen zu verweigern. Unerhört, nicht wahr! Er ist einfach nur "der Herr Inspektor" – eine Chiffre. Jeder Leser kann sie mit einem Gesicht versehen. Das gilt im Grunde auch für die übrigen Figuren in diesem Stück: Marlies, die fatale Muse; Regina, die mütterliche Ehefrau; Norman, der schwankende Schriftsteller, der wie sein Namensvetter Norman Bates (aus Hitchcocks "Psycho") womöglich einen gravierenden Mutterkomplex hat.

Nicht nur die Figuren sind typisiert, als habe man es mit einem morality play zu tun, sondern auch ihre Sprechweise widerspricht dem mimetischen Prinzip, demzufolge die Figuren so sprechen sollten, wie es wirkliche Menschen tun. Sie deklamieren, argumentieren, überreden, beschwören, flehen einander an, sprechen mit Ausrufezeichen, Fragezeichen und was nicht alles. Der Ton erinnert an Theaterstücke, an hymnische Gedichte (Klopstock, Hölderlin usw.).

Dann wieder beschäftigt sich der Autor mit prosaischen Themen wie dem Leben in Ibbenbüren beiOsnabrück, von wo nie eine Bundespräsident o.ä. gekommen ist. Auch Elfriede (Jelinek) und Peter (Handke) sowie Martin (Walser) tauchen als Chiffren auf, herbeizitiert, wie es dem Zweck des Moments dienlich erscheint.

Eines wird also klar: Die Darstellung von Fakten, wie sie einem Krimi wohl ansteht, ist hier nicht weiter von belang. "Wahrheit" ist nur ein Wort und Fiktion alles. "Wirklichkeit" ist der Willkür ausgeliefert. Insofern hat es der Leser eher mit einer subjektiven Weltkonstruktion wie bei Joyce oder T.S. Eliot zu tun als mit einer realistischen Erzählweise, die sich eben an Realien festmacht. Die Bewusstseinsebenen wechseln ebenso leicht wie die Sprachebenen.

Gleichzeitig reflektiert der Ich-Erzähler, der sich selbst als "Norman-Figur" auf die Bühne des Geschehens stellt, über die dargestellte Geschichte: Fiktion und Reflexion sind eng miteinander verknüpft. Selbst wenn "Norman" also stürbe, so wäre dies relativ unerheblich: Dies ist nur für die Fiktion relevant, nicht aber für den reflektierenden Erzähler.

Für ihn ist die Fiktion eine Versuchanordnung. Falls er sich in "Norman" spiegelt, so findet sich Norman in einem Experiment der Beziehungen zwischen drei Frauen: Marlies, Regina und Eva Adam. Eva wird schon bald aus der Gleichung entfernt, und wer weiß, was Regina noch zustößt? Falls Norman versucht, eine Position zu finden, so ist dieser Versuch wohl zum Scheitern verurteilt. Als Nicht-handelnder, sondern Gelegenheit-Ergreifender, als Beobachter, ist er ein Spielball mehr oder weniger sichtbarer Kräfte – Marlies ist eine davon. Norman kann nur versuchen, möglichst "gut" zu scheitern – frei nach Samuel Beckett. Woran sich die Qualität dieses Scheiterns bemisst, ist jedem Leser selbst überlassen.

Unterm Strich

Für den durchschnittlichen Krimileser, der nur eine einigermaßen spannende Unterhaltung für zwei bis drei Tage erwartet, nach denen er den nächsten Krimi "verschlingen" kann, eignet sich "Marlies" nur in sehr eingeschränktem Maß. Schon bald bildet nämlich das Spiel mit der Fiktion Stolpersteine auf dem Weg zur Unterhaltung. "Marlies" bietet kein Paralleluniversum, sondern eine Spielwiese, auf der sich der Autor nach Belieben auslässt, wonach ihm der Sinn steht. Dafür muss der Leser nicht einmal den ersten Band der Trilogie, "Der Tote im Park", kennen.

Wenn dies also kein "richtiger Krimi" ist, dann ist es vielleicht ein erotischer Liebesroman? Die Marlies-Figur als verführerische Muse, die den Schriftsteller aus Reginas fürsorglichem Herrschaftsbereich in das Reich von Eros und Sexus entführt, ist die klassische Hexe. Und die Norman-Figur verbrennt sich an ihr regelmäßig die Finger, bedient sich ihrer aber ebenso gerne. (Die Sexszenen sind durchaus erotisch.) Wahrscheinlich schreibt er sogar über Marlies (lies = Lügen). Was aber, wenn dieser Erlebnisdurst seine Existenz zerstört?

Die wichtigste Ebene des Romans dürfte die des reflektierenden Spiels mit Figuren, Gedanken, Empfindungen und Erinnerungen sein. Der Autors verfügt hier über ein breites Repertoire, das durchaus seinen Reiz hat. Immer wieder verweist er auf Samuel Beckett, den alten Iren: "Das letzte Band" und "Warten auf Godot" sind in diesem Zusammenhang die maßgeblichen Werke. Gut, wenn man sie schon kennt. Das optimale Scheitern – vielleicht lässt es sich auf dieser Grundlage besser beurteilen. Der Leser sollte auf jeden Fall die nötige Spielfreude mitbringen.

Vielleicht klärt sich ja der Fall "Marlies" im nächsten Band der Trilogie. Man sollte aber keine endgültigen Antworten erwarten.

Michael Matzer © 2003ff

www.carpe.com
www.yopi.de
www.ciao.de
 

Info: Wiesenburg 07/2003, Schweinfurt; 320 Seiten, EU 18,80, ISBN 3-932497-89-9;
www.wiesenburgverlag.de (ohne Gewähr)

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  • Das Gegenüber im Fixierbad

Norbert Sternmut: PHOTOfinish. Gedichte

Der Titel ist Programm: "Photofinish" gibt den Erfahrungsbereich, aus dem die Metaphern der meisten hier gesammelten Gedichte kommen, vor: die Fotografie.

Telescop, Camera obscura, Fixierbad, Abbild, Momentaufnahme, Photogen, Aktphoto, Schwarzweiß – die Liste dieser der Fotografie entlehnten Überschriften ist schier unbegrenzt und macht deutlich, wie sehr das Medium der Fotografie unsere Wahrnehmung durchdrungen hat.

Doch die Reibungsfläche, an der sich unsere so geformte Wahrnehmung entzündet, ist keineswegs beliebig. Die Sterne bedeuten uns nichts, wenn sie fotografiert werden. Es muss ein Du geben, das dem Moment der Wahrnehmung (Aufnahme) Bedeutung verleiht. Es muss ein Du geben, das überhaupt ein lohnenswertes Motiv liefert. Und es gibt ein Du, das dem eigenen Leben eine Art Stativ verleihen kann. Das geliebte Du.

Doch Menschen-Fotografie bedeutet auch Unsicherheit durch Vermitteltheit: das Medium stellt Abstand zum Original her, verwandelt Realität in Abbild, in Kunst. Diese wiederum ist beliebig reproduzierbar, und das Motiv wird ent-wertet, da beliebig manipulierbar, eine Ware. Doch Waren haben ihren zeitbegrenzten Wert: auf einer Titelseite, die Wünsche abdruckt und Illusionen – das Image als Opfer der Rotationsmaschinen. Nun wird der Original-Augenblick kost-bar.

Andere Gedichte greifen das Thema Lied auf: Abendlied, Weihnachtslied, Altes Lied. Erinnerungen an Rilke (wer jetzt kein Zuhause hat... in "Vorabend") werden wach und variiert. Viele Gedichte versuchen die Ver-Ortung des Ich im Universum (Sterne, Galaxien), in der Region (Schwanensee), in der nächsten Umgebung (Reihengräber in "Dichter Nebel"). Doch wo kein Du zu finden ist, herrschen Bilder Einsamkeit, des Alleinsein vor: Nebel, Nacht, Verlust-Erscheinungen wie "wort-, bedeutungs-, spur-los" usw.

"Reim dich, oder ich fress dich"? Nicht bei Norbert Sternmut. Seine Verse sind kurze, oftmals ge- und zerstückelte Satzfragmente. Der Leser muss selbst zusammenfügen, was sich ihm als Baukasten darbietet. Auffallend wenige Eigenprägungen sind zu finden: Rotationselend, Grundsatzidylle, Sonnenstrände. Der Text "Unterwegs" ist da eine positive Ausnahme:

Unterwegs //

Seelenzangen / ins Gelände gequält.//

Brunnenschutt, du sollst / vergessen sein.//

Augenfalle, geheim, / herzleise abgeblüht / im Schnee davon//

Erzählt ein Aschenrund.//

Kein Kreis von unten her, / der dich nimmt / ins Gestänge, aufspult / auf eine Rolle.//

Rastflucht, / Flächen weithin, Stimmen, / Fassaden, / Sprache unterwegs / ein Sehnsuchtsfalter.//

Von oben her kein Sonnenlaken, / das dich bedeckt / mit Sicherheit / abgesternt / der menschlichen Wunde, / unterwegs auf dem Weisheitsweg, / Holz.

(Alle Zeilenanfänge werden groß geschrieben.)

 Mein Eindruck

Norbert Sternmuts Gedichtband "Photofinish" schneidet ein wichtiges Thema an: Fotografie begegnet uns heute so allgegenwärtig, dass wir sie und ihren Einfluss für selbstverständlich zu halten geneigt sind. Die Macht der Gewohnheit, die normative Kraft des Faktischen. Das war vor 125 Jahren noch nicht so. Fotografie war etwas Teures und Kostbares, den wohlhabenden Ständen vorbehalten. Erst ab 1900 kamen die großen Zeitungen auf, mit neuen Reproduktionstechniken fanden Fotos große Verbreitung. Die Wahrnehmung veränderte sich, die Kunst musste folgen, und Walter Benjamin konnte seinen großen Essay "Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit" schreiben.

Heute ist die Fotografie personalisiert, persönlich geworden, und jederzeit verfügbar, ähnlich wie die genaue Uhrzeit. Dies hat Folgen für die Wahrnehmung und Bewahrung von Sinneseindrücken: Realität festzuhalten wird nicht mehr nur eine Sache des biologischen Erinnerungsvermögens und der individualisierten Weitergabe – sie ist normiert, standardisiert, reproduzierbar, verkommt zur Ware mit Verfallsdatum.

Sternmut untersucht in einigen seiner Text, wie sich das Paradigma der Fotografie auf die Begegnung mit einem geliebten, emotional nahen Gegenüber auswirkt. Er kommt zum Schluss, dass der Mensch standhält, ja, dem Betrachter selbst einen Halt in der Realität vermittelt. Während das technisch erstellte Abbild nur zeitweiligen Wert besitzt, ist die Nähe zum Du unverzichtbar, weil konstitutiv für das Ich des Betrachters. Wäre das Gegenüber zugleich auch Gegenstand der Fotografie, handelte es sich um ein Modell. Und das wäre etwas ganz anderes

Der Autor

Norbert Sternmut (= Norbert Schmid), geboren 1958, lebt in Asperg bei Stuttgart und arbeitet als Pädagoge. Er veröffentlichte seit 1980 zahlreiche Lyrikbände, Dramen und Kurzprosa. Mehr Infos gibt's auf seiner Website www.sternmut.de.

Unterm Strich

Sternmut greift in "PhotoFinish" ein wichtiges Thema der Ästhetik und Wahrnehmung auf, ortet Ich und Du in einem so definierten Paradigma. Seine Ergebnisse sind interessant. Lediglich die sprachliche Eigenständigkeit könnte größer sein. Eigene Prägungen wie in "Unterwegs" sind zu selten. Und so fand denn auch dieser Lyrikband nur geringe Resonanz in der Presse und beim Publikum. Was durchaus schade ist.

Michael Matzer © 2003ff

Info: Edition Thaleia, 1997, Saarbrücken; 121 Seiten, ISBN 3-924944-36-9

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  • Carpe com

Der Ich-Erzähler, ein erfolgloser Schriftsteller und Lyriker, hat eine Leiche beim Spazieren im Park gefunden. Helmut Schröder, so hieß der Ermordete (ob die Ähnlichkeit mit Politikernamen Zufall oder Absicht ist, bleibt offen), hatte ein beneidenswertes Leben als "gemachter Mann" geführt, bevor ihn der Tod ereilte. Der Schriftsteller berichtet dem Polizeiinspektor genau, welche Gedanken ihn bei der Entdeckung des toten Schröder bewegten. Und diese Gedanken sind überhaupt nicht nett, wie sich generell der Schriftsteller beim Leser durch abfälligen Zynismus unbeliebt macht.

Im Laufe seiner Einlassungen erfährt der Leser, dass es sich bei Schröder um den Geliebten der Lebensgefährten des Schriftstellers handelte. Das Motiv in dieser Dreiecksgeschichte erscheint sonnenklar. Zu allem Überfluss bekommt der Inspektor noch eine saftige Kriminalstory des Schriftstellers aufgetischt. Sie handelt ausgerechnet von einem Toten im Park. Wer braucht noch mehr Hinweise?

Die betrogene Ehefrau Schröders, eine Verlagslektorin, beschuldigt natürlich den Schriftsteller des Mordes, geht aber auch eine Beziehung zu ihm ein. Das Leben ist eben nicht schwarz-weiß, wie man's gerne hätte. Doch auch sie wird ermordet und im Park aufgefunden. Als jedoch schließlich die Lebensgefährtin auftaucht, scheint es der Hauptfigur, die über alles und jeden so souverän räsoniert hat, endgültig an den Kragen zu gehen. Hochmut kommt eben vor dem Fall, sagt sich da der Leser zufrieden. Aber ein leiser Zweifel bleibt.

Der gebürtige Stuttgarter Schriftsteller und Lyriker Norbert Sternmut lässt in seinem unkonventionellen Kriminalroman die Frage nach den üblichen Morddetails offen, stellt vielmehr implizit die Frage, ob es überhaupt einen Mord gegeben hat. Bildet sich der Ich-Erzähler den Inspektor, dem er die Geschehnisse beichtet, nur ein? Ist er vielleicht sogar schizophren? Der Leser kann nicht wissen, sondern nur vermuten: Das subjektive Zeugnis des Erzählers lässt einen stets an der Wahrheit, an der wiedergegebenen Wirklichkeit zweifeln.

Insofern ähnelt seine Tätigkeit der der Medien in unserer modernen Welt: ein subjektiv gefärbter Filter, der sich je nach Interessenlage seine eigene Wahrheitsversion bastelt. Er kann sich sogar erlauben, den "Inspektor" zu foppen und herauszufordern. Denn es gibt keine unwiderlegbaren, objektiven Beweise. Offenbar ist Wahrheit ebenso wie Realität relativ. Sternmuts Roman macht dies in jeder Zeile deutlich. 

Michael Matzer

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  • Ein Krimi der Extraklasse, 7. Februar 2000

„Wissen Sie", erklärt Sternmuts zentrale Person des erfolgslosen Schriftstellers dem Kriminalinspektor zu Beginn des Romans, „ich versuche gerade eine Geschichte zu schreiben, eine Art Kriminalstory, die aber die philosophischen Aspekte des Lebens behandeln soll." Der Leser richtet sich so auf ein interessantes, vielschichtiges Geschehen ein, Spannung mit philosophischem Hintergrund, die bürgerliche Lesefassade scheint wieder von Rissen verschont zu bleiben. Spätestens seit Dürrenmatt darf ja auch der intellektuelle Leser sich den Niederungen des Kriminalromans nähern. Wir richten uns auf ein vielschichtiges Geschehen ein, werden auch keinesfalls enttäuscht. Der Geliebte der Freundin des arbeitslosen Schriftstellers wird in einem Park ermordet. Für den erfolglosen Schriftsteller Motiv oder Anlaß, eine Landschaft der Gefühle eines komplizierten Beziehungsgeflechtes in einem Roman auszubreiten. Die immer wieder neuen Kapitel seines vielleicht den Durchbruch bringenden Erfolgsromans liest er dem Kriminalinspektor jeweils vor. Keine menschliche Niederung, kein Verlangen wird ausgelassen zur Erklärung, legt die Schlinge des Verdachts sich zudem immer enger um den Schriftsteller. Schließlich ein zweiter Mord, die Ehefrau des Ermordeten, die kurz zuvor noch ein leidenschaftliches Verhältnis mit dem Schriftsteller einging, wird zerstückelt genau an der Stelle des Parks aufgefunden, an der ihr Mann ermordet wurde. Anfängliche hinweise des Schriftstellers scheinen sich uns zu verdeutlichen: Der Roman wird zum „absurden Theater zwischen Versuch und Irrtum", wird „eine politische Geschichte über den Aufstieg eines Menschen, der zuletzt noch seine Menschlichkeit eingebüßt hat? Zeigt das nicht eine Epoche, die innere Befindlichkeit einer Kultur, die zentrale Aussteuerung aller moralischen Bedenken?" Der Schriftsteller, so die Lesevermutung, versucht die Fiktion in die Wirklichkeit umzusetzen, so die Abgründe des menschlichen Daseins zu erforschen. Die anfängliche Aufgabenteilung - „ Ich bin der Schriftsteller, sie der Inspektor. Ich bin für die Dichtung zuständig, sie für die Wahrheit" - bekommt nun mehr als gefährliche Risse. Fiktion und Realität beginnen sich zu verwischen. Anfängliche Einwürfe des Schriftstellers hinterlassen beim Leser bereits bedenkliche Fragen. „Ich gebe zu Inspektor. Sie verschwinden, wie diese Geschichte verschwindet. Nichts wird bleiben, weil alles erfunden ist. Ich bin erfunden. Sie sind erfunden." Aber wenn diese Story und ihre fesselnde Einbindung erfunden wurde, die Grenzen sich zwischen Realität und Fiktion so verwischen, ja dann ist unter Umständen auch der Leser nichts anderes als gekonnte Konstruktion, der Leser ein Konstrukt fiktionaler Werte und Gefühle, in deren Fängen er sich durch den Schriftsteller verstricken läßt. Werte und Gefühle, die nicht länger das Ergebnis moralphilosophischer Diskussionen sind. „Gut ist, was Einschaltquoten erreicht. Die Zeit der Ethik ist vorbei, der moralischen Philosophie." Die Fiktion des Romans löst sich im individuell - gesellschaftlichem Scheitern, in der fiktionalen Desillusionierung auf. Schon langt Sternmut bei den Positionen eines Peter Handkes an, den er selber als Handlungsintention in den Roman einbringt. Die systematische Zerstörung der Klischeevorstellungen der Wahrnehmung von Realität angesichts eines zunehmenden Lebens und Erlebens in der Fiktion inszenierter Fernsehwirklichkeiten gelingt Sternmut mit geradezu atemberaubender Dramaturgie und Sprachgewandtheit. Natürlich bindet die Fiktionalität einer ausschließlich profitorientierten Unterhaltungs- auch Buchindustrie ihre trug- und Scheinbilder an elementarste Gefühle des Lesers, des Zuschauers. Der Autor Sternmut läßt den Schriftsteller dies unter anderem an der Person der Marlies verdeutlichen, die - Lektorin, Mutter von zwei Kindern, Ehefrau des Ermordeten, erfolgshungrig und von einer leidenschaftlichen Sexualität besessen - in der fiktionalen Kriminalstory eine Beziehung zu dem Schriftsteller eingeht. „Aber ich kannte nie eine Marlies. Es ist eine Art Wahn. Wir sind nur die Figuren im Spiel der Kräfte, der Natur, der Gesetze, spielen eine Rolle, die uns vorgegeben ist, wir Handlanger der Liebe, weil wir uns stets vereinigen wollen, immer wieder und immer wieder neu." Und so, wie der Autor seine Figuren, etwa den Inspektor, aus einer fiktiven Welt verschwinden läßt, so werden wir auch als Leser ‚mißhandelt'. Unsere Gefühle werden als Spielelemente fiktionaler Handlung entlarvt, wir sind Teil jener von Sternmut inszenierten Illusion, jener Inszenierung einer Kriminalstory. Und die Zerstörung der Illusion, sei es durch Handkes Publikumsbeschimpfung oder Sternmuts kriminalistische Desillusionierung, führt zur Hoffnung des Autoren: „Wir wollen keine Marionetten, keine Figuren einer angelegten Geschichte sein, wollen heraustreten aus unserem Dunkel, wollen selbst bestimmen, wollen nicht unserem eigenen Verschwinden folgen."

Doch kann eine solche individualistische Hoffnung auf Realitätsgestaltung/ - bewältigung gelingen? Am Ende des Romans tötet die Fiktion des Schriftsteller. Vorher blieb ihm nichts anderes als die resignierende Feststellung: „Ich beschreibe noch die Vergewaltigung der Seele, wie sie in en Himmel blutet, aber möglichst in kurzen Sätzen." Sternmut, ein Autor, den sich, wer ihn noch nicht kennen sollte, unbedingt merken sollte. Denn die Gilde jener Autoren, die sich noch daran versuchen, über die Inszenierungen der „Vergewaltigungen der Seele" zu reflektieren, ist in der deutschen Literaturszene mehr als dünn geworden, zumal dann, wenn es noch in einer solchen sprachlichen und dramaturgischen Klasse geschieht.

Rezensentin/Rezensent:Alfred Büngen  zauberhaft1@gmx.net  aus Ahlhorn/Deutschland

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  • Eine Feier des Lebens im Eros

Bereits ein Jahr nach "PhotoFinish" (1997) veröffentlichte Norbert Sternmut einen weiteren Gedichtband in der Edition Thaleia. Es ist eine deutliche sprachliche Weiterentwicklung hin zu einem eigenständigen Vokabular festzustellen. Zugleich sind deutliche Anklänge an Celans Dichtung und den späten Trakl zu finden, die sich in düsteren Bildern und Todesmetaphern bemerkbar machen. Insgesamt aber bildet "Absolut, Du" eine Feier des Lebens, herbeigeführt durch eine erotische Erfahrung und Übersteigerung des Leibes, besonders in der Liebesvereinigung.

Der Autor

Norbert Sternmut (= Norbert Schmid), geboren 1958, lebt in Asperg bei Stuttgart und arbeitet als Pädagoge. Er hat seit 1980 zahlreiche Lyrikbände, Dramen und Kurzprosa veröffentlicht. Mehr Infos gibt's auf seiner Website www.sternmut.de.

Mein Eindruck

Die Wort- bzw. Bilderwahl und der Gedichtaufbau erinnern häufig an Paul Celan und den späten Georg Trakl. Als würde der Tod, den Celan und Trakl erfuhren und beschreiben, eine Art Geisterlicht auf alles Lebendige und Leibliche werfen, stellt Sternmut in seinen Bilder in auffallender Häufigkeit leibliche Elemente in den Mittelpunkt, vermag diese aber auch zu transzendieren. Der Körper ist ein Mittel, buchstäblich ein Instrument zum Zwecke der Selbstüberhöhung im Reich des Empfindens, des Geistes, der Seele und darüber hinaus.

Das Licht des Tages ist die Gegenwart, und sie wird als Sonnen-geflecht, -muster, -gespinst und -teppich beschrieben. In diesem Gewebe findet sich der Körper wieder, gewärmt und fühlend. Im Zentrum des Körpers schlägt das Herz, das zugleich ein Instrument der Empfindung ist. Der "Blutsturz der Tage" ist ein enger Zusammenhang zwischen zwischen diesen beiden Polen.

Dieser Blutsturz wiederum kann durch verschiedene Ereignisse ausgelöst oder wahrnehmbar gemacht werden. Dies kann beispielsweise ganz konkret auf dem Bett der jungfräulichen Braut geschehen. Die blut-rote ROSE ist lediglich ein Angramm von EROS und somit Erotik - eine leicht morbide Verknüpfung, die der Fin-de-siècle-Lyrik des frühen Trakl besser ansteht als einem Jünger Celans.

Die "Herzmuschel" findet sich im "Sommer der Begierde" unter der erwähnten Sonne der "Sphärenmusik" und dem "Planetentaumel" ausgesetzt, so sehr, dass sich der Leib als Instrument der Begierde und der leiblichen Kommunion mit der Geliebten wahrnimmt. In "Instrumental", einem längeren Stück, wird der Liebesakt Musik, der Leib zum "Klang-körper" -- und nicht nur wegen des Rhythmus. Ein Gedicht heißt nicht umsonst "Frühlingsgefühle".

Gegenbilder des Negativen gibt es genügend: Die "Türme der Trauer" stehen im "Seelenfeld" und dem "steinweißen" "Seelengranit", gesehen durch "Maskengitter". Auch lässt sich der Eros in seinen modernen Varianten auf einfache eise durch den Kakao ziehen: In "Fetisch" führt Sternmut Permutationen mit den Begriffen Lack, Leder, Mutter, Jagd und Sankt Hubertus (Schutzpatron der Jäger) durch und gelangt auf diese Weise zu lustigen bis witzigen Ergebnissen. Permutationstechnik findet sich auch auf das Wort "Fall bzw. fallen" angewandt, allerdings mit weit weniger reizvollen Resultaten. Die Technik ist zu durchsichtig, die Ergebnisse vorhersehbar, daher unter Wert erreicht.

Wie Celan mit der "Todesfuge" kann auch Sternmut mit "Echo" ein langes Werk vorweisen: Es erstreckt sich über rund 17 Seiten. Hier raunt es gar mächtig: Wörter wie "heilig", "ewig" und "geheim" werden keineswegs persifliert oder ironisch gebraucht, sondern als hehre erstrebenswerte Ziele an die Wand der Imagination geworfen. Hier probt Sternmut den hohen Ton Hölderlins, reduziert auf die Vokabeln Celans. Aber wohl ist dem heutigen Leser dabei nicht zumute. Zu oft wurde diese Vokabeln in braunen Zeiten missbraucht.

Unterm Strich

"Absolut, Du" ist eine Durchgangsstation im Werke Sternmut, so wie es im Grunde jeder Gedichtband ist. Doch dem Leser bieten sich hier in unscheinbarer Aufmachung - beiger Einband mit schwarz-monochromer Illustration und dunkelblauer Schrift - einige kleine Juwelen von sinnlicher, zuweilen erotischer Dichtung. Diese Edelsteine findet man am Anfang des Bandes häufiger.

Dass Sternmut meines Wissens später einen solchen Ton wie in "Echo" vermieden hat, ist ebenfalls positiv. Mehr der Gegenwart und ihrem zynischen Urteil zugewandt sind Gedichte wie "Fetisch", in denen sich erotische "Abweichler" in sonderbaren Gefilden wie der Jagd wiederfinden. Das zeugt vom Humor und dem kritischen Bewusstsein des Zeitgenossen Sternmut. Angesichts von pathetischen Elogen wie "Echo" würde man sich mehr davon wünschen.

Michael Matzer (c) 2003ff
Info: Edition Thaleia, 1998, St. Ingbert; 127 Seiten, ISBN 3-924944-42-3 Wörter: 672

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  • - Marlies - Tiefgehen, emotional, nihilistisch

Zugegeben, dieses Buch muss man ab und an beim Lesen aus der Hand legen. Nicht, weil es langweilt. Nein! Man braucht diese "Auszeit", um zu verstehen, zu verinnerlichen und ganz sicher auch, um die schöngeformten Worte und Sätze nachhallen zu lassen.

Marlies ist wieder da!

"Marlies" ist die Fortsetzung des Romans "Der Tote im Park", den es jedoch nicht braucht, um "Marlies" zu folgen.
Sternmut besticht durch brillante bildhafte Sprache, durch viel Metaphorisches und beides 
ist ein Genuss, da treffend und stilsicher.

Jahre sind vergangen. Im Leben des erzählenden Schriftstellers Norman hat sich einiges 
geändert. Er führt nun ein bürgerliches Dasein, hat Frau und Kinder, doch scheint es dem 
geneigten Leser, als belüge sich der Schriftsteller selbst, wenn er von seinem jetzigen 
Leben schwärmt. Seine Frau Regina bietet ihm einen Rahmen, in dem er lebensfähig ist. Doch glaubt er sie nicht zu lieben. Er liebt scheinbar Marlies, was ihm schlagartig klar wird, als sie nach Jahren wieder bei ihm vor der Tür steht. Die "Liebe" - eine groteske Mischung aus Geilheit, Leidenschaft und Untergang, der er sich nicht entziehen kann, und wenn er an ihr zugrunde ginge.

Er hat die Wahl:
Entweder das seichte, lange Leben an Reginas Seite, leidenschaftslos, dafür sicher, geordnet und geborgen oder das kurze, verrückte Dasein an Marlies Seite, voller Leidenschaft und Trieben. Höllenfahrten.

Apfelkuchen oder Sachertorte.
Sekt oder Champagner.
Lange Langeweile oder ein erfülltest Dasein, kurz aber den Trieben und Träumen entsprechend? Marlies ist die Herausforderung, die den Schriftsteller Norman an seine Grenzen führt, sie ist seine Hure, seine Muse und Inspiration, sein Steigen und Fallen, sein Leben und Sterben, all dass, was der Schriftsteller braucht, um aus seiner Schreibhemmung wieder sprachliche Bilder zu formen.

Marlies ist wieder da...   und Eva Adam ist tot. Der werte Herr Inspektor, der auch in 
"Der Tote im Park" die Ermittlung aufnahm, spielt auch in diesem Roma wieder seine Rolle. 
Der werte Herr Inspektor, des Schriftstellers geheime Vorbild, dem er nacheiferte. Frau, 
zwei Kinder. Der es schon im ersten Buch nicht schaffte, die Morde aufzuklären. Schafft er 
es nun im Mordfall "Eva Adam"? Und... welche Rolle spielt Marlies? Ja, gab es überhaupt 
Tote?

Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

Mich hat dieser Roman allein schon wegen der brillanten Sprache Sternmuts und der 
wechselnden Perspektive des Erzählers fasziniert. Es ist nicht immer leicht zu lesen, zu 
folgen und zu verstehen. Aber auch - oder gerade dies macht den Roman so lesenswert. 
Bisweilen humorvoll, anderseits nihilistisch und gar morbide beschreibt Sternmut Gefühle 
eines Menschen zwischen Liebe und Abneigung so brillant und unterhaltsam, dass ich diesen Roman jedem ans Herz lege, der sich stilvoll unterhalten möchte und literarischen Anspruch zu schätzen weiß.

Daniela Wegert                   www.daniela-wegert.de

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  • Norbert Sternmut: Marlies

Sie scheint nicht von dieser Welt zu sein. Sie ist kaltblütig, unberechenbar, schizophren aber vor allen Dingen sexuell. Marlies ist die Obsession und die Leidenschaft, die Schriftsteller Norman nicht nur um den Verstand, sondern auch hinter Gitter bringt. Gefangen hinter schwedischen Gardinen und in der Gewalt der Marlies sieht Norman sein beschauliches Eheleben mit Regina und den Kindern an sich vorüber ziehen. Marlies ist eine Sucht – wie damals, in Normans Roman „Der Tote im Park“ gelingt es Norman nicht, sich aus den Klauen der Marlies zu lösen. Norman steht zwischen zwei unvereinbaren Fronten: Auf der einen Seite steht Ehefrau Regina, die sich um ihn und die Kinder kümmert, die stets treu sein wird, die ihn bekocht und umsorgt, Regina steht für Geborgenheit im beschützten Heim. Auf der anderen Seite steht die unbeständige Marlies, die vögelt wie eine wilde Sexgöttin, die für ihre Fleischeslust morden würde und die körperlich ebenso abhängig von Norman ist, wie er von ihr. Normans Versuch, beide Frauen in seinem Leben zu halten ist so mörderisch, dass am Ende nur Blut fließen kann, vergossen aus Motiven wie Neid, Eifersucht, Begierde und Egoismus. Männer schließt Fenster und Türen, wenn Marlies klingelt. Marlies wird Euch wie die schwarze Witwe vögeln. Besinnungslos im Taumel der Lust werdet Ihr die Gefahr unterschätzten, die von dieser Frau ausgeht. Sternmuts „Marlies“ ist ein Roman über die Schizophrenie des Daseins. Ein Buch über Wunschträume, Erfüllung und deren Konsequenzen. Leid, Qual, Leidenschaft und die Unwirklichkeit der Realität pur.

Wiesenburg, 320 S., 18.80 EUR. 

Maria Mersch

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  • Marlies ist wieder da!

Rezension von Alisha Bionda

So beginnt der zweite Teil der (Krimi)Trilogie von Norbert Sternmut. Ich beginne: Norbert Sternmut ist wieder da. Endlich!

Wieder sprachlich präsent, mit teilweise kurzen minimalistischen Sätzen, keinem Einheitsblabla, mit viel Liebe zum sprachlichen und szenischen Detail und immer noch - oder mehr ? - mit einer gewohnt exzentrischen Mischung aus Sex, Crime und einem Hauch von Entrücktsein, Anderssein.

Ich leugne es nicht, ich habe ein Faible für Norbert Sternmuts Texte, weil sie so anders sind.

Weniger vom Stil, als von der Umsetzung seiner Themen, seiner Plots, seiner Figuren.

Sternmuts Charaktere haben etwas Alltägliches, etwas das in uns allen steckt, uns sofort mit ihnen vertraut macht. Aber auch, und das macht die interessante Mixtur aus, auch etwas, das uns fremd ist, uns teilweise erschreckt, das wir - vor allem - nicht sehen wollen, das uns aber auch einen Spiegel vorhält. Über uns Menschen, unsere Gesellschaft, unser eigenes Verhalten und unsere Bigotterie.

Norberts Sternmuts Romane sind keine reinen Unterhaltungstexte, wenn man sie auf sich wirken läßt, erkennt man darin vielschichtige psychologische Aspekte, besonders dort wo wir als Menschen an unsere Grenzen stoßen.

So ist es in Marlies ein Mann, der z.B. erst dann erkennt, daß er das wahre Glück, die wahre Liebe längst an seiner Seite hat, nachdem er sie betrogen und hintergangen hat und jener Frau, Marlies, die ihm schon einmal zum Verhängnis wurde, wieder erliegt, sich ihrem sexuellem Reiz nicht entziehen kann. Nicht entziehen will.

Aber auch seine Selbstzweifel, sein offensichtliches menschliches Versagen ist uns nicht fremd. Wenn wir ehrlich in uns horchen.

Wieder wird in diesem Krimi - wie in dem Vorgänger - nicht klar, ist die Handlung real oder fiktiv, ist sie nur dem Gehirn des Schriftstellers entsprungen oder nicht.

Und genau das macht den zusätzlichen Reiz dieses Buches aus! Es läßt uns Raum für unsere eigene Interpretation & Phantasie.

Daher: lesen, lesen, lesen!

Norbert Sternmut
Wiesenburg Verlag
ISBN 3-932497-89-9-
Hardcover, 18,80 ¤

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  • Mit dem Flug-Schreiber in den Seelen-Wind

Norbert Sternmut: Triebwerk. Gedichte

Mit "Triebwerk" legt der Stuttgarter Schriftsteller Norbert Sternmut einen weiteren Gedichtband vor, der in der Edition Thaleia erscheint. Immer noch grundlegend an seinen Vorbildern Paul Celan und vielleicht auch Georg Trakl orientiert, hat sich Sternmut dennoch weiterentwickelt, vergleicht man "Triebwerk" mit den Gedichtbänden "PhotoFinish" und "Absolut, Du".

Der Autor

Norbert Sternmut (= Norbert Schmid), geboren 1958 in Stuttgart, lebt in Asperg bei Stuttgart und arbeitet als Diplom-Sozialpädagoge in den Bereichen Erwachsenenbildung, Altenarbeit, Jugendarbeit. Er veröffentlichte seit 1980 zahlreiche Lyrikbände, Romane, Dramen und Kurzprosa in über 60 Anthologien und 17 Einzelwerken. Der Schriftsteller ist Mitglied im Schriftstellerverband VS und erhielt Stipendien des Landes Baden-Württemberg und der Stadt Gerlingen. Mehr Infos gibt's auf seiner Website www.sternmut.de.

Inhalt

In den ersten Gedichten ruft der Dichter, wie es seit 2800 Jahren Sitte ist, die Muse an, die Erinnerung, und stellt sich seine Aufgabe: Flugschreiber des Lebens. Es ist viel von Asche die Rede, die verweht, Flugasche. Sie hängt in den grauen Haaren alter Frauen, sie weht aus dem Krematorium, ein Sturm von Asche erbricht sich aus den sinkenden Türmen des World Trade Centers: unser "Grund Null im Schatten der Türme". Schließlich aber scheint doch die Aschensonne am Horizont. Und "süßer Trauer voll ist das Schilf im Wind".

Doch was vergeht, ist auch Neuanfang und hinterlässt Wurzeln. Zunächst in der Erinnerung der Menschen, die den Kremierten geliebt und erlebt haben. "Es bleibt uns dein Name als unser Name, bleibt uns dein Weg als unser Weg. // Du trägst die Erde in uns, wirst uns nicht vergessen." Dem kalten (Grab-) Stein werden Äpfel, Blüten, alles Wachsende entgegengesetzt: Herzkirschen. Und auch die Sprache wird gefordert, eine andere, wahrere zu sein: "Die Sprache der Jugend, Ordnung, Wissenschaft, was uns verging / Die Sprache des Herzens."

Diese Sprache lässt sich, so wohl die Hoffnung, durch Dekonstruktion herbeiführen, wenigstens teilweise. Die "Lichtnessel" ist die Sonne, die uns verbrennt, die "Lichtwende" kommt, wenn das Licht erlöscht, die "Netzhaut" (des Auges) verlässt uns, wenn wir sie (die Haut als Netz, indem wir gefangen sind), verlässt. Der "Feuerzeuge" ist der Zeuge eines Feuers, doch wessen Feuers? Dieser Zeuge ist eng verwandt mit dem Flug-Schreiber. "Rosenrost" ist zwar die Farbe einer Liebe, doch einer Liebe, die Rost ansetzt, weil in Hirn und Adern schon der Kalk zu rieseln beginnt (das "Kalkwerk").

"Am Abglanz... haben wir das Leben", sprach Goethe einst ("Faust Zweiter Teil"?). Eine Instanz dieses Abglanzes sind Farben und Spiegelungen. Die Farbe Blau spielt eine bedeutende Rolle. Sie überraschte den katalanischen Maler Joan Miró, sie inspiriert den Maler im Dichter – in Auge, Ozean, Himmel und Seidenlaubenvogel, Lapislazuli: die Farbe des Schöpferischen.

Heiliger Sankt Sisyphos, Schutzherr der Pflüger wie der Liebenden, derjenigen, die "voll zorniger Sehnsucht" sind und auf Veränderung, Erneuerung setzen, also auf die andere Seite Medaille: Eros nämlich. Vom "Wurm-fort-satz" gelangt man zum "langen Bein der Begierde", dem Phallus, und von da zum Vor-satz für eine Nacht. Diese realisiert den Eros in einem, nun ja, eben erotischen Ritt, "von fern Ufern über blühende Landschaften an die Atemgrenze", über die Klippe in IHR Perlenreich, zwischen die Schamgrenzen und die Dunkelkammern, bis er "hell verblutet", mit offenem Seelenfenster.

Doch Fensterseelen, wenn geschlossen, spiegeln den Blick des Betrachters, können vorspiegeln und täuschen. Eine Entspiegelung ist nötig, um Wahrheit und Wirklichkeit zu erreichen. Von sonnenroten Himmel geht es in die Sternennacht, wo man unter Sirius und Aquarius bei der Liebsten, dem Erdengel, liegt und Erlösung findet. Die Entspiegelung ist auch Entgrenzung aus der "Todesmühle", und so ist der gemeinsame Abschied, nach einem Schluck aus dem "Wanderpokal" des Lebens, auch der Beginn einer neuen Reise. Mit Zielpunkt Sirius startet er das Triebwerk, das ihn in einen hellen Tunnel auf dem Seelenwind ins Fraglose trägt: vom Triebwerk zum Feuerwerk.

Mein Eindruck

Mit diesem umfangreichen Gegenstück zur "Todesfuge" seines Lehrmeisters Paul Celan beendet Sternmut seinen Gedichtband. Darin gleicht "Triebwerk" den Vorgängern "Photofinish" (1997) und "Absolut, Du" (1998). Es erinnert an jene hymnischen Oden Klopstocks, in denen das lyrische Ich sich transzendiert und aufschwingt ins Metaphysische. Wieder einmal rettet sich das in der Todesmühle leidende Ich durch die transzendierende Erfahrung des Eros in ein erträgliches Hier und erhofft sich ein Aufgehen im gemeinschaftlichen Seelenwind anderer Gestorbener, die alle ins große Fraglose streben. Die Aufgabe des Dichters ist die des "Flug-schreibers" im Flug durch den Seelenwind.

Dekonstruktion

Doch zwischen Jammertal und unio mystica werden diesmal auch andere Noten angeschlagen, und dies mit neuen Instrumenten. Die Dekonstruktion war immer ein Stermut'sches Sprachverfahren. Häufig erbringt es erhellende Ergebnisse durch die Permutation der Möglichkeiten, z.B. im Wort "Wurm-fort-satz" oder in "Feuer-Zeuge". Zu den Wurzeln der Sprache vorstoßen und ihre Bausteine ebenso enthüllen wie die Absichten ihrer Konstrukteure, das ist eine weitere Aufgabe des Flug-Schreibers. Ach ja, und bitte keinen Nachrichtensand mehr, den man uns ins Auge streut, um uns über die Wirklichkeit hinwegzutäuschen. Diese Dekonstruktion kann durchaus auch Spaß machen, quasi in einem Capriccio wie "Endung eines Vorsatzes" (S. 30).

Die Leerstelle

Die Dekonstruktion ist eng verwandt mit der wagenden Erkundung der Grenzen des sprachlich Sagbaren. Dort, wo sich Sprache auf der Ebene der Syntax auflöst, ist nun ein erstmals ein neues Instrument zu sehen, das der Autor einsetzt: die Ellipse, die Leerstelle. Nichts wirklich Neues im Reich der Lyrik, denn wie sonst könnte eine Metapher funktionieren, wenn nicht der Leser die fehlende Verbindung zweier disparater Elemente herstellen würde? Das "Löwenherz" ist keineswegs das Herz eines Löwen, sondern die Qualität eines Menschen, der ein Herz hat, mit dessen Stärke er so tapfer wie ein Löwe kämpfen kann.

Jeder Leser von Lyrik muss also entschlüsseln und Leerstellen füllen. Und nur diese anregende Tätigkeit macht Lyrik so befriedigend, denn bekäme man alles realistisch vor die Nase gesetzt, wozu sollte man sich auf sprachliche Wagnisse einlassen? Dann könnte man ja gleich einen Groschenroman lesen, der sämtliche Erwartungen erfüllt, und das auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner.

Lyrik ist anders, und diesmal spielt die Ellipse, die berühmten drei Pünktchen (...), eine wesentliche Rolle. Dort nämlich, wo das Sagbare an seine Grenzen stößt und offen wird für alle möglichen Experimente und Spiel-Züge. Wo sich der Dichter nicht mehr hinwagt, wo sich die Syntax ihres vorgegebenen grammatischen Gerüsts entledigt, dort kann der Leser schöpferisch werden, sich einbringen. Er kann neue Ebenen der Bedeutung anlegen, neue Konstruktionen von Wörtern erzeugen, spielen. Und Spielen macht bekanntlich Spaß.

Ein neues Thema, scheint mir, sind Malerei und Farbe. Miro und die Farbe Blau – das passt sehr gut zum neuen Titelbild, das vom Autor selbst stammt. Dass er auch malt, steht nicht in seinem Lebenslauf, der auf der Umschlagrückseite abgedruckt ist. Um so lieber nimmt man die neue Fähigkeit zur Kenntnis. Sie passt zu den visuellen Metaphern, die häufig herangezogen werden, nicht nur in "Triebwerk", sondern auch in "PhotoFinish" und Absolut, Du".

Unterm Strich

Sternmut hat sich weiterentwickelt, wie dieser neue Gedichtband belegt. Zwar gelten die bekannten Verfahren (Dekonstruktion, Capriccio, Ode, Fuge usw.) und selbstverständlich die alten Vorbilder (Celan, Trakl) weiterhin, doch das ist nicht mehr der Weisheit letzter Schluss. Nun spielt die Leerstelle, die Ellipse eine unübersehbar wichtige Rolle. In vielen Texten ist sie jetzt zu finden und lässt dem Leser Freiraum, sich kreativ und spielerisch assoziierend einzubringen.

Mag man auch böse unterstellen, dass dem Dichter an solchen Stellen einfach die Wörter ausgegangen seien, nein, das ist keineswegs der Fall, wie der Schluss der Fuge "Entspiegelung" belegt. Zeilensprung, Kommasetzung, Klammern und Leerzeilen, das ist bekanntes Handwerkszeug, doch Neues kommt hinzu. Nun ist die Form offener und abwechslungsreicher, flexibler und durchlässiger für die Bausteine, die der Leser einbringen möchte.

Immer noch ist die Betrachtung der Welt geprägt von aktuellen Ereignissen wie dem 11. September 2001, von Fernsehsendungen und sekundärer Medienrealität. Die Kritik daran wird formuliert wie gehabt, und das funktioniert immer noch einwandfrei und zum Ergötzen des Lesers. Die Forderung nach einer Sprache der Wahrheit und des Herzens leitet sich direkt daraus ab. Und dieses Herz vergewissert sich seines Lebendigseins und seiner Legitimation durch die Interaktion mit dem liebenden und geliebten Du. Im Eros findet der Sisyphos Dichter zu sich selbst. An diesem Punkt trinkt es sich leichter aus dem Wanderpokal Leben, und ein Endpunkt des Daseins ist nicht mehr die Todesmühle, sondern der Seelenwind, die unio mystica.

Wer will, kann den Autor auf seiner Seelenreise begleiten, viele neue Beobachtungen sammeln, mit seinen Versen spielen und wird vielleicht sogar seinem eigenen Erdengel diesen schönen Gedichtband zum Mitspielen schenken.

Michael Matzer © 2005ff

Info: Edition Thaleia 2005, St. Ingbert; 102 Seiten, EU 12, ISBN 3-924944-69-5