Sternmut Literatur

8 aus „88 Rätseln zur Unendlichkeit“ (2004)

STRICKMUSTER DES RADFAHRERS

 

Auf der Unendlichkeitsschlaufe
Fährt ab auf die Jahrhunderte,
Verbrennt nichts,
Sagt nichts, fährt dahin

Auf seinem Strickmuster, (90a),
Nach vorne, den Kopf oben,
Den Lenker fest in der Hand, das
Auge
Auf Zeitfäden gerichtet,

Die sich leicht verweben,
In jeweiligen Moden, wie sie wechseln,
Die Trends, Röcke, rauf und runter
Über die Jahre im Netzwerk

Der Strickmuster. Der Fahrer fährt,
Vergiftet nichts, spaltet keine Atome,
Wirft keine Bomben ab,
Gibt keinen Kommentar,
Bekommt keinen goldenen Löwen,
Hört keine Nachrichten,

Fährt mit seinem alten Rad
Entlang der Schleifen.


TANZ



Tanz von Fischen und langen
Geschichten,
Die nicht sprachlos enden,
Der Liebe der Strohhalme,

Der Sehnsucht der ewigen Hoffnung,
Tanz, meine Güte,
Es will schon wieder dunkel werden,

Über uns hinweg, tanz
Die Liebe an den Himmel, die Weisheit
An die Wand, tanz
Uns reines Vergnügen,

Die Sinne herbei, die Sterne vom
Himmel,
Wissen und Vollkommenheit,
Harmonie, helle Freude,

Tanz uns Frieden, die Toleranz
In die Augen, Fische ins Meer,
Vögel an den Himmel,

Die Ruhe der Steine im Fluss,
Irgendwie auf ewig, tanz
Uns Endlichkeit, endlich
Besser den Tod,

Tanz uns Nichts vor,
Tanz und tanz.


DER WAGEN



(Ein Wagen ist ein Wagen
Ist ein Wagen…)

Der
Wagen: (Fährt voll darauf ab…)

Der Wagen wiegt so viel
Wie ein Wagen, sieht aus
Wie ein Wagen, fliegt so schlecht
Wie ein Wagen…

(Er war nie ein Flugzeug, ein Ritter,
Ein Käse…)

Der Wagen steht als Wagen
Im Titel: des Gedichts: der Wagen
(DER WAGEN)

Der Wagen möchte nicht Herrscher
Des Universums sein…

Er betreibt
Keine Politik, kennt
Keine Schuldgefühle.

Der Wagen (DER WAGEN)
Will Wagen sein.


DER MAGIER



Nimm den Hut und zaubere
Uns leichter die Sinne, löse
Den Knoten der uns trennt
Von uns selbst, sei

(Mit Wonne, gelben Punkten,
Rotem Faden, Pilzen, Freude
Und der Mittagsfrucht

Hier im Gedächtnis: magisch, ein Stein,
Die Hand um die Schlaufe, offen
Für den ewigen Sturm, hole
Mut aus dem Mantel, mach` Macht

Aus Ohnmacht, schüttle
Ein Glückskind aus dem hohlen Bauch,
Den Zauberstab in der Hand.

Lass die Zweifel unter deinem Tuch
Verschwinden, gib` uns
Das Ewigkeitszeichen, sei aber und
Geh`
Ins Feld und pflücke die Dornblume
Den Liebenden, lass Tauben fliegen

Aus dem Kopf, auch wenn
Der Schein trügt hier unten.)


DER SCHWIMMER


Hirnstaub an Wände geblasen,
Besungen das Blutgerinnsel,
Den Morgenstern, poetisch
Den Schlagschatten,
Ach, die Männer, Frauen,
Taucher, Schwimmer.

Abgedeckt Gefühl, Herbst,
Schlaflose Nacht, Aqua,
Nichts (als Sch…)
Neues,
Als leere Worte,

(Der Schwimmer). Keine Beziehung
In zwei flachen Rechtecken,
Tägliche Übungen
Made in Deutschland.

Vakuum geatmet,
Die Fruchtblase ich.

Das eingemachte Lächeln,
Unzählige Stimme,
Den Schrei,
Wer hörte ihn?

(Der Schwimmer) Ausblicke
Durch Klobrillen,
Zumindest jetzt
Nicht untergehn,
Hirngespinst.
Aus der Zeit gebrochene
Augenblicke,
Ohne Bruchstelle,
Was verbleibt?


MELANCHOLIA



Waren mit gereifter Furche
Auf langsamem Feld,
Dem Wort: Abschied, bewegt
Wie Sichel und Blatt. Und du Name?

Agnes Dürer? In den Katakomben?
Bildhaft, ein Satz: wir,
Eins mit dem Zweifel der Graswurzel,
Dem Nachtschatten, heben an
Ins Fragment,
Bleiben mit den Stimmen,
Den Strichen, Sträuchern
Eingezäunt ins Endstück,

Nannten niemand,
Gingen vorüber,

Ungesagt, das Lippenbekenntnis
Nicht länger ungefüllt
Trat an gegen den Zeiger,
Stieß über die Klippe,
Das Faltenreich des Schlauchs,
Die Grotte.

Allein die Flocke,
Die sich Schnee nennt, ein Endkristall,
Wünscht sich keine
Wärmende Hand.


DER BILLARDSPIELER



Bill, du weißt nichts, nicht,
Was gespielt wird, hältst
Den Stab in der Hand, fällst
Ins nächste Loch,

Ziehst dem Fremdgang
Den Schuh an, weißt nicht,
Wer du bist, Bill,

Gehst fremd zu Lebzeiten,
Willst leuchten,
Diese Schläge lang,

Welcher Stern über dir?

Ziehst Lippen gegen Lippen, spielst
Mit den Gefühlen, ziehst dich
Aus der Verantwortung.

Schon steigt die Luftblase auf,
Die Sterblichkeit,
Als Zeichen die Bewegungen
Des Stabes mit der Lederkuppe,
Bill, bleibst zuletzt nach vorn
Ins Nichts geschrieben, schweigst
Ungereimt ein Ende.


FLIEGENPARADE



Von 15 und mehr Fliegen.
Fliegen wandern
Wie die Fliegen,
Einfache Stubenfliegen,

Mit kurzen Fühlern
Im Unterschied zu den Mücken,

Fliegen wie die Fliegen.
(Die Larven der Fliegen,
Wie die Maden,
Sind beinlos, leben
In Holz, Früchten, Abfällen,
Sind Räuber, Schmarotzer,
Entwickeln sich
Noch im Wasser…)

Die Fliegen besuchen Blüten,
Saugen Säfte oder Blut,
Treten leicht in Schwärmen auf,

Sind ohne Zahl und Namen,
Vermehren sich
Wie die Fliegen,
Sterben
Wie die Fliegen.


Aus „SPRACHSCHATTEN“ (1989)

LOGOS

Im Prinzip: Gingen. Waren. Sind.
Sprachen davon den Heuschrecken,
Ameisen, dem aufkommenden Abschied,
Denkmal! Krebs und Stier
Offen mit dem Gitterstab
Zwischen den Lippen, der Anatomie.

Uferleicht, gewiß den Falten, den Mündern,
Den sieben Ringen der Tage,
Das nicht zu sprechende
Leicht, selbstbewusst besetzt, unsagbar
Die Falte,

Wendet sich ab, deutet darauf
Auf Buchstabe und Zahl,
Ins einsame Gewimmel. Wir wollen sprechen!

Ins gemeine Grün, das verständliche All
Trägt es in sich, Mikro und Makro,
Eine Namensgebung, wurdest du,
Jeder sagt es, schreibt die Ziffer.

Sah deine Lippe, kam, kam. Sprach`s
Den Widdern und Fischen, dem Wortgrün,
Der Lippe besetzt mit Formel und Norm.

Angesprochen beim Sternbild tropft
Unsagbares zwischen den Gittern,
Deutet darauf, sprachlos, wir sagen es.


NACHTFLUG

1) Blindzeit, ortlose Schatten
Im Schwarzlicht.

Wortlos entflieht der Mund,
Landet nirgends,
Schwankende Erde
Entflammt die Nacht,

Kühl. Verstummtes
Schwingt Keulen
Vollendeter Gestalt, quält
Ewigkeit herbei.

Ein atmender Turm
Ohne Wächter bangt
Um seinen Fluch.

2) Da war dieser Flug.
Das Blutgerinnsel
Aufgezogen als Fahne,
Die Windstille.

Eine Handvoll Zeit
Kippt
Von der Schulter,

Im Arbeitstakt,

Hirn, ein Kopfvoll.

Ein Grund aus Abgrund
Schweigt sich aus.

Nie genug, schweift
Ins Klare
Sich ab, der Flugstern.

Zuckende Arme,

Kalt, Hände,
Immer wortlos, Beine,

Umschlungen den Nachtschein.

Wogt der Werfer
Noch immer –

Scheinlos.

Verzerrte Brust,
Die Zeitschulter.

3) Welche Funken hütend
Ehemals
Der Keim,

Wittert starrend
Ins Blattlose

Der Flugbahn,

Hingeschwemmten Aug`s
Vom Wasserfluß.

Wortverstopft der Mund
Klagt nach Luft,

Im Sprengkopf

Nicht länger
Die Zelle beweint.

Verwittertes
Strahlt noch zuletzt.

Ins Leere
Auf Knopfdruck.

4) Das Hirngitter
Knochenmehl

Übergraust den Schädel.

Ohne Aufprall.



Aus  „LICHTPAUSEN“ (1994)

 

LICHTPAUSEN

1) Der alleine irrt durch die Hundsnacht…

(Willst gehoben sein, auftauchen
In den Schoß mit blauen Himmeln
Und nicht geschunden…)

Du Kind,
Das die Mutter verfehlte, du fällst
Nicht aus dunklen Röhren,
Herein,

Heraus in kalte Schächte,

Schweigst noch in der Stunde
Aller Begierde, bist nicht, warst nicht,

Kamst nicht. Wir aber kamen.

2) Und wer dem Sternkalb zuruft,

Die verlassenen Schafe
In ihre Herde bringt,

Nicht den Stein verwirft,
Den zarte Mädchenhand in den Sommer hält
Über die glühenden Stauden,

Nicht die Zeit in Schlachthöfen
Verbringt, verweilt
Um die geheime Blume,

Der ist das Licht ohne Pause.

3) Und wer nicht anschwemmt die Schlacht,
Verdirbt nicht die Frucht,
Die Erde steiler
An den Abgrund stellt,

Wer für die Stummen spricht,
Die Blinden sieht,

Die Verlassenen
Aus dem bitteren Gehäuse bringt,
Den Schwellen der Not,

Anhebt zur Sorge,
Nicht flieht
Vor der Hyäne der Wahrheit,
Nicht wetzt
Die dunklen Messer der Hinterlist,

Der ist das Licht ohne Pause.

4) Und wer glühende Eisen
Zwischen den Fingern hält, schreit,

Weil der Herr nicht erscheint,

Dem Tritt die Wand ins Fleisch,

Laufen die Gesetze davon, hilft
Kein Wort zum Sonntag,
Sticht der Stoß die Seele auf,

Den fällt der Nachtvogel an,
Bricht die hilflose Hündin
Hinter dem Dornbusch zusammen.

Dem raubt sich der Verstand,
Steht das Gerippe
Schwer gegen den Erdboden,

Spukt das Endlied durch die Gänge,
Breitet sich Gift und Galle,

Erbrochenes
In die Windungen der Hoffnung.

Der entkommt nicht der Niedertracht
In ein nahegelegenes Gehöft,
Schweigt vor Begierde,
Verwirft seine Spur.

(Treibt jeglicher Knochen vor die Hunde,
Rauscht die Endader,
Verkalkt die Stundenwand,

Bricht die Gewissheit herein,

In weiten Bögen unter die Erde.)

5) Und wer in den Sternen wohnt,
Der wohnt in den Sternen…

Und wer sein Bein
In die Wolfsfalle stellt,
Der wird es abnehmen

Mit dem Beil,

Wenn nichts mehr hilft
Im eisigen Winter der Steinseele,

Der schlägt zu,
Ehe ein ganzes Ende ruft.

6) Und wer mit den Sternen kämpft,
Der reißt die Eingeweide
In den Schnee, färbt ihn blutrot.

Und wer dem Endstern
Die Zähne zeigt
In der Nacht der Wahrheit,

Der kann sich nicht verstecken
Hinter hohen Hecken,
Steht fest,
Wie das Vergängnis,

Wird sich nicht entziehen
Mit faulen Versprechen, der blutet
Frisst sich in die Erde,

Härter, weicher, wird
Tiefer sinken, höher steigen
Als Qual und Erbauen,

Der ist so, kann nicht anders,
Der weiß vom Menschengang,

Geht dahin, kam daher.



Aus „TRIEBWERK“ (2005)

 

ENTWUZELT IM GESCHAUTEN

Du liebtest mich im blinden Schilf,
Entblößtest mir den sommerlichen Schoß,
Brachst mir von der Wolke ein kleines Stück,

Warst mir offen, blühtest wie eine Blumenbrücke
Schlugst dich vor mir auf und ich ging
Über dich, in die Schlucht aus zeitlosen Algen,
Die mir dein Sternbild bot, du liebtest mich,

Kämmtest mir die Lichtspange ins Haar,

Tiefer, nahmst meine Stimme in deinen Mund,
Nahmst, was ich hörte in dein Ohr, nahmst
Meine Wurzel an deinen Brunnen,
Nahmst mich, purpurrot, nahmst mich
Wie Sonne, Mond und Sterne, feuchter nur
In dein Rätsel, warst so still und hast geredet…
Warst…und trankst aus dem Becher
Dieser Nacht, das, was sich verschüttet, später,
Wenn die Bilder unklar werden,

Die Wolken brechen, langsam, Wort für Wort,
Nacht für Nacht, wenn es Gedächtnis wird,
Was uns trieb, wenn es endlich ganz versandet…


HAUT, MILCH

Haben den Tag gesät,
Die Nacht geerntet,
Tranken die Milch
Und den Wein,
Tranken die Tränen
Von unseren Augen,
Tranken und tranken.

Nahmen den Wind
Aus den Segeln, der Sturm
Packte uns, flocht uns
Die Sehnsucht ins Haar.

(Haben Blut geleckt…
Das Seelenfenster geöffnet,
Die Kastanie
Von der Erde genommen…

Die Kastanie,
Jenseits der Welt…)


DIESES BLAU

Der blaue Stein. Lapislazuli.
Blutet blau: das Schöpferische.

Sei gegrüßt, Holunder,
Der Ozean geht auf,

Das Auge, blau der Himmel
Der Erde des Todes,
Vereint die Menschen,
Wasser und Himmelsfarbe,
Ultramarin, frei
Von Sklaverei im Blau der Stunden,

In Mode: Sonnenblau,

Die kühle Augenfarbe,
In weiten Wellen
Der Seidenlaubenvogel,
Lichtblau, die Grotte.



Aus „SEELENMASCHINE“ (2006)


FERTIGUNGSHALLE: (nach Celan)

Sekundenatmung: Frisch…Luft…

Gerät…die Seelen…

Schweißung, celanisch…

Die Stundengeburt im Öl

Des Überdrucks…der Helm…

Er schützt nicht, das Wort:

Es entsteht: Beatmung.

(In den Boxen…)

Unterm auf-

Zuckenden Schein-

Des Metallbalgs.


MORGENLUFT ( Herr Krolow)

Wittern. Das Getriebe, geölt,
Die Stunde hat ihren leichten Schlag.

Tauben gurren, langsam wachsen
Erdbeeren und Kirschen, darüber
Ist gerade mal wieder nichts los…

Nichts zeigt der Zeigefinger, nichts
Brennt sich ab, nichts läutet Sturm…

(Ein Gedicht legt nichts nahe…das Laub
Für den Herbst wuchs bereits leise
Wartet die Wahrheit auf Erlösung…)

Draußen schaut sich jemand
Die Landschaft an…grün und blau,

Mit Wolkenhimmel, oben, gut sortiert
Wird das Auge in die Irre geführt.

(Das könnte so bleiben…Herr Krolow,
 Zuversichtlich ohne Schwierigkeiten…)

Wir müssen nicht lange überlegen,
Was uns zustoßen könnte, weiterhin…


Aus „FADENWÜRDE“

(Erscheint im Pop-Verlag Ludwigsburg 2008/09)

 

VATER, DER DU WARST

Die Münze fiel ohne dich Das Land
Durch mich hindurch aus der Bahn
Blühte die Giftspur des Seins

Vater? Schläfst du

Im toten Gewölk? Der Gehirnspur
Dem Seelenfortsatz

Aus Kindheit Kirschbaum

Möglichkeit ich behaupte niemand
Nichts in geliebten Frauen falle durch

Mich selbst hindurch schwimme im Steinwasser
Der Sprachverhärtung, schreibe täglich:
Löscht mein Name den Luftknoten,

Erneut, verwundet mich nichts, Vater,
Der du warst, gegen die Silberdistel,
Die furchtlosen Worte, die Steinfratzen,
Ich nahm sie mir aus den Sternen,

Flocht mir den Mut aus dem Müll,
Vater, nichts halte ich dir entgegen

Nicht werfe ich vor mit leeren Händen
Nichts wurde Land Sprache Luft
Bewegt die Aschenträne Teufelsbahn
Die Worte: herrlich, Vater,
Ich nahm sie mir aus den Lüften.


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